2007-05-27

In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Matthias vom Hauptstadtblog hat seine Verwunderung über studentische Protestaktionen an der HU zum Ausdruck gebracht.
Bei dem Protest geht es darum, auf negative Konsequenzen der derzeit laufenden Exzellenzinitiative der Bundesregierung hinzuweisen. Die Mitarbeiter an der Antragstellung besteiligten Lehrstühle können die Betreuung der Studierenden derzeit nur eingeschränkt wahrnehmen. Doch das eigentliche Problem ist die Zukunftsaussicht. Es werden Forschungsprojekte für einzelne Fächer entwickelt. Hierfür werden extra Gelder von der Bundesregierung vergeben. Nach ABlauf des Projektzeitraums sollen, bei entsprechendem Erfolg des Projektes, diese Forschergruppen natürlich beibehalten werden. Doch von welchem Geld? Von den Mitteln der Universität - die von Jahr zu Jahr weniger werden. Die Gefahr, dass gerade diejenigen Fächer weggekürzt werden, die nur wenig messbare "Leistung" bringen und im öffentlichen Bewusstsein eine geringe bis gar keine Rolle spielen, liegt auf der Hand.

Matthias vom Hauptstadtblog findet die derzeitigen Entwicklungen in der Hochschullandschaft begrüßenswert. In den Kommentaren gibt es auch eine etwas längere Erläuterung von ihm, wie er sich eine weitere Entwicklung vorstellen könnte. Darauf habe ich reagiert und die gesellschaftspolitischen Implikationen der derzeitigen Entwicklungen betrachtet.

Zum Stichwort eines strafferen Studium sagt Matthias: "Wer schnell studiert, kommt eher auf den Arbeitsmarkt und setzt seine Arbeitskraft produktiv für die Gesellschaft ein."
Wer schnell studiert, lernt im Zweifelsfall schnell auswendig. Was dann fehlt, ist das Durchdenken der Inhalte, die gelernt werden. Wer von einer Vorlesung zur nächsten, von einer Klausur zur nächsten sein Studium denkt und organisiert, konzentriert sich vornehmlich auf die Fakten, die abgeprüft werden. Diese Fakten können dann gut eingesetzt werden auf dem Arbeitsmarkt. Was jedoch in den Hintergrund tritt, ist das Nutzen des (geistigen) Raumes, um über den Tellerrand zu schauen, Bezüge zu anderen Lebensbereichen herzustellen. Zum Beispiel Wissen über Personalmanagement: Der BWLer nimmt aus seinem straffen Studium das Wissen über die Eckpunkte der verschiedenen Theorien mit, kennt die Anwendungen aus Beispiel-Unternehmen. Fragen über psycho-soziale Faktoren und deren Relevanz waren zwar schon zu Diplom-Zeiten eher dünn gesät (liegt wohl auch eher am Interesse der BWL), werden aber mit einer Straffung im Bachelor noch weniger Raum bekommen, da die Studierenden auf Grund des Diktums "Ihr müsst schnell fertig werden!" von sich aus diesen Raum ablehnen, um nur ja nicht den schnellen Abschluss zu gefährden. (Ein Phänomen, das sich übrigens auch in den Geisteswissenschaften zeigt.) Die Menschen, die dann ihr Arbeitskraft produktiv einsetzen, werden vor allem ihr Fakten-Wissen einsetzen. Die kritische Auseinandersetzung mit den zu erledigenden Aufgaben im Unternehmen, die folglich im Studium schon kaum gefördert wird, wird dann auch im Arbeitsalltag nicht stattfinden.

Matthisas: "Universität bedeutet [...] Wissenschaftlichkeit".
Was heißt aber Wissenschaftlichkeit? Menschen versuchen, die Welt in all ihren Facetten zu verstehen und zu erklären. Dazu stellen sie Thesen auf, beobachten die Welt (in welcher Reihenfolge auch immer) und ziehen anhand bestimmter Begriffe Rückschlüsse auf die Funktionsweise des untersuchten Gebietes. In diesem Verfahren ist das freigeistige Sammeln genauso wichtig wie der Rückgriff auf als gesichert geltendes Wissen. In der Verbindung beider liegt Fortschritt. Wenn im Laufe des Studiums den jungen Menschen in ihren Lehrveranstaltungen nur eine Seite präsentiert wird, wird das Denken und Handeln einseitig geprägt.

An diesem Punkt wie auch zur Frage der kritischen Auseinandersetzung kommt häufig der Einwand, dass Menschen zum Zeitpunkt ihres Studiums ja alt genug seien, sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Das stimmt. Wo aber soll die Methodik der kritischen Hinterfragung herkommen, wenn das gesamte Bildungssystem und dazu parallel laufend die allgemeine, in unserer Gesellschaft vorherrschende Wissens- und Lernkultur auf den Slogan "Fakten, Fakten, Fakten" reduziert wird?
Wenn von allen Seiten her Leistung und prüfbare Ergebnisse gefordert werden, liegt ein strukturelles Problem vor. Wenn immer seltener Sachverhalte in ihren Pros und Contras innerhalb der (öffentlichen) Diskussion beleuchtet werden, wenn kritisches Denken schlimmstenfalls als hinderlich für die Entwicklung unserer Gesellschaft angesehen und abgelehnt wird, dann werden auch unsere Kinder dies nicht in ihr Denken und Handeln übernehmen.
Die Fähigkeit, "selbst zu denken", fällt nicht vom Himmel, ist nicht einfach da. Sie prägt sich durch das Leben inmitten einer Gemeinschaft ein. Und je nachdem, wie eine Gemeinschaft aussieht, werden die jungen Menschen sich in ihr entwickeln.

7 Kommentare:

Cosmo Croc! hat gesagt…

Du kämpfst gegen Windmühlen!
Dass du überhaupt so viel Zeit an diesen Honk verschwendest.

Es heißt:

"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen."

Das trifft bei Matthias eindeutig nicht zu. Bei ihm ist es tatsächlich der Mangel an Verstand.
Da kannst du nichts machen.

Wart's einfach ab.
Noch 3 - 5 Jahre und es wird quasi-private WikiUniversitäten geben. Die werden auch zugangsbeschränkt sein. "Man darf dort nur studieren, wenn man nachweisen kann, dass man das Herz am rechten Fleck hat."

Dort bekommt jmd wie DU sogar ein Stipendium und darf nach 20 Semestern mit einem "summa cum laude" abschließen, das dieses Lob noch verdient.

Kein Grund heute traurig zu sein.

xD

Anonym hat gesagt…

Du kämpfst gegen Windmühlen!
Natürlich könnte ich mich auch vollkommen von diesen Meinungsäußerungen abwenden, eine WikiUni gründen und in der Überzeugung leben, dass alternative Konzepte sich mit der Zeit schon durchsetzen werden. Aber reicht das?

Ich halte viel davon, sich gegnerischen Ansichten nicht zu verschließen. Das heißt auch, auf meinem Weg innezuhalten, auf solche Äußerungen zu reagieren, in den Dialog zu treten. Wenn dieser Dialog nicht stattfindet, kann ich immer noch weiterziehen.

Hinter der Annahme, ja doch nur gegen Windmühlen zu kämpfen, sehe ich auch die große Gefahr des Zynismus. Der in dieser Welt nichts zum Besseren wenden wird. Ein bisschen davon ist gut, um sich nicht vollends aufzureiben an ergebnisorienterten BWLer-Ansichten oder anderen Absurditäten dieser Welt. Aber zuviel davon führt nur zur Abschottung gegen die herrschenden Strukturen und zum Rückzug ins Private. Alles schon gehabt. Da will ich nicht hin zurück.

Und was die Wahl des zu bekämpfenden Gegners angeht. Nun, das können wir uns wohl alle nicht aussuchen. Wir können nur versuchen, bestmöglich gerüstet zu sein. xD

Cosmo Croc! hat gesagt…

Ich glaube hier liegt ein Mißverständnis vor. Ich habe vollstes Verständnis für deine Einstellung.

Ich wollte nur zum Ausdruck bringen: Verschieß dein Pulver nicht an dieses Fallobst. Da kommen noch bessere.

Man sagt auch: Don't feed the trolls!

Mess with the best and die like the Rest.

Zyniker bin ich - genauso wie Björn übrigens - ganz und gar nicht. Unsere wirkliche Einstellung ist noch ein Stück weit subtiler ;-)

abstrahiert hat gesagt…

ich weiß nicht genau, was ich von solchen meinungen wie der von matthias halten soll. also, eigentlich weiß ich es ziemlich genau: falsch, so falsch wie eine meinung nur sein kann, egal wie mensch es auch drehen und wenden mag, egal ob mensch es vom moralischen oder "wirtschaftlichen" standpunkt sehen mag. was ich aber nicht weiß: wie mensch dagegen reden oder schreiben soll, ob mensch überhaupt dagegen reden oder schreiben soll oder einfach nur abwarten und die zeit für sich sprechen lassen soll. tut sie nämlich sicher.

there's a riot coming like a drug in the water.

Cosmo Croc! hat gesagt…

@ arc
Als Aufwärmübung finde ich den Artikel von Sophie gar nicht schlecht.

Bzgl. Leuten wie Gaetgens, Lenzen oder Schavan fand ich aber die Argumente, die man jüngst dem Chefredakteur der BILD zugestellt hat, auch ganz passend.

Das wäre bei Matze ja nun nicht nötig.

Anonym hat gesagt…

kurze Erläuterung: Lenzen ist der aktuelle Präsident der FU, Gaetgens sein Vorgänger. Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie die als Bologna-Prozess charakterisierte Entwicklung der Hochschullandschaft aktiv fördern. Unter diesen beiden ist das Stichwort "Eliteuni" in inflationärem Gebrauch...

Cosmo Croc! hat gesagt…

[...]

Hier nochmal ein Lesetipp, der das Problem ganzgut zusammenfasst

[...]

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Private Bildung und andere Hirngespinste