"Linksliberalismus 2.0"
Es ist Zeit für eine neue Ideologie.
Mitte der 1990er Jahre las ich in der Berliner Zeitung eines Sonntags in einer Kolumne. Ich meine mich zu erinnern, sie hatte an dem Tag den einfachen Titel "linksliberal". Der Autor, dessen Namen mir nicht mehr einfallen will, schrieb davon, wie er sich politisch links einordnen würde, aber mit dem Dogmatismus der Linken nichts anfangen könne. Er selbst hatte (und hat vermutlich auch heute noch) kein Problem mit Konsum und dem Tausch seiner Arbeitskraft gegen monetäres Einkommen. Aber er hatte ein Problem mit habgierigen Unternehmensinhabern und mit Unternehmensstrukturen, die Hierarchisierung und Ausbeutung als Teil ihres Systems förderten. Deswegen konnte er sich auch mit den Positionen einer FDP ums Verrecken nicht anfreunden. Er glaubte auch nicht daran, dass ein Staat die Instanz sein könne, die für gerechte Verteilung der Güter sorgen würde. Da müsste schon jeder selbst dran arbeiten. Keine der Parteien sagte ihm zu. Es war ein Dazwischen, das er formulierte. Etwas, das man in linken Kreisen besser nicht zu laut ausspricht. Das Dogma des Antikapitalismus, ihr wisst... Es war genau die Einstellung, die ich so gerne von der Politik gesehen hätte. Lange hörte ich nichts mehr davon, bis im vergangenen August Mercedes Bunz unter dem Titel "Linker Neoliberalismus - Was könnte das sein? Und warum eigentlich? Spinnen die?" (pdf) dazu schrieb.
Dieser Tage ist Christian Rickens' "Links! Comeback eines Lebensgefühls" im Gespräch. Auf dem 9to5.Wir nennen es Arbeit-Festival-Camp sprach er mit Mercedes Bunz, Holm Friebe und Philipp Albers über das Thema. Nun sind seine Ansichten in Buchform erschienen. Auszüge davon gibt es auf spiegel online.
Worum es geht? Es geht darum, die "die richtige Mischung aus Wettbewerb und Solidarität, aus Gewinnstreben und Gemeinsinn zunächst einmal im eigenen Leben umzusetzen". Derart beschreibt Christian Rickens die digitale Bohème, wie er sie kennengelernt hat. Und wie es meines Erachtens den Kern der Sache trifft.
Es ist Zeit für eine neue Ideologie. Eine Attitüde des Pragmatismus, der seine Lebens- und Arbeitsbedingungen - so gut es geht und darüber hinaus - selbst schafft. Sie kommt leise daher. Aber sie wird uns alle erreichen.
Warum ich davon überzeugt bin? Hier ein paar zusammenhanglose Aspekte, die so zusammenhanglos gar nicht sind.
Coworking spaces (Orte für Menschen, die für ihre Arbeit an keinen Ort gebunden sind, aber das soziale Miteinander und die Infrastruktur eines Büros trotz allem brauchen) erfreuen sich größer Beliebtheit unter den Selbständigen und Freiberuflern dieser Welt. Es ist selbstbestimmtes Arbeiten in der Gemeinschaft.
Das muss nicht nur für die kleine Gemeinde der digitalen Bohemiens gelten. Markus Albers bespricht in seinem Buch "Morgen komm ich später rein", wie traditionelle, dröge Büro-Arbeitsformen auch für Unternehmen und deren Angestellte ein Ende haben können. Es braucht im Grunde nur den Mut beider Seiten, neue Wege zu denken.
Passend dazu eine Geschichte aus Philadelphia und Vancouver. Chris Jurney ist mit und wegen seiner Frau von Vancouver nach Philadelphia gezogen. Die Firma, bei der er arbeitet, wollte ihn behalten und richtete alles für eine Fern-Beziehung ein. Zuhause aber ist Chris Jurney die Decke auf den Kopf gefallen. Also machte er sich auf in die Independents Hall und arbeitet fortan dort. Seine Firma bezahlt ihm nun seinen Schreibtisch dort, weil sie auf das Know-How von Jurney keinesfalls verzichten möchten. Alle haben etwas davon, auch die anderen Coworker in der Independents Hall, mit denen Jurney sich dort austauschen kann.
1 Kommentar:
Hmm. Was du schreibst liest sich nicht unbedingt nach linker Politik, sondern eher nach dem Wunsch nach undogmatischer Politik und nach neuen Arbeitsformen.
Versteh´ mich nicht falsch: Das alles ist auch sehr schön. Aber es wäre ziemlich wenig, um dafür gleich ein ganzes Etikett zu verbrauchen:
"Linksliberalismus 2.0"
Weil Rickens und Bunz diesen Begriff von mir aufgeklaubt haben, möchte ich darauf hinweisen (auch wenn das dir vielleicht schon zu weit geht), dass es in Ansätzen so etwas wie "Linksliberalismus 2.0" gibt, in theoretischen Ansätzen (einem modernisierten und progressiv interpretierten Ordoliberalismus sowie einem personalistischen Freiheitsbegriff), und zunehmend auch in der politischen Praxis.
Es brodelt. Es tut sich was.
(u.a. in Initiativen wie Abgeordnetenwatch, in der Blogszene u.v.m)
Aber die Vertreter der digitalen Bohéme (Bund & Co bzw. der überwiegend Berlin-geprägte Bloggerklüngel)rechne ich, was ja eigentlich auch schon ganzn nett ist, eher dem guten alten Linksliberalismus 1.0 zu.
Nix 2.0.
Und Rickens: Ähm, ich denke, der liegt im Moment noch ziemlich gründlich neben der Spur.
Egal. Ich wollts dir ja nur mal so in die Kommentarspalte von deinem Blog schmieren, äh, schreiben.
Falls dich linksliberale Politik-Blogs interssieren, wirst du bei mir eine ziemlich lange (unvollständige) Liste finden.
Grüße!
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