2008-02-02

Ein paar Gedanken zu Streik und seinen Auswirkungen.

"Einsehen, in der Wirklichkeit, daß sowieso alles anders kommt, als man es möchte und geplant hat." Miss Julie's Erfahrungen mit dem derzeitigen Streik der Verkehrbetriebsangestellten enden mit diesem Schlusswort. Und es fasst meine absurde Freude angesichts einer solchen Verkehrssituation in wenige treffende Worte.

Ob der Warnstreik an sich gerechtfertigt war/ist, wird von vielen hinterfragt und es hagelt Kritik von allen Seiten. Die BVG-Leitung zeigt sich unverständig, da das aktuelle Angebot im Kern keine Lohnerhöhung für alle Beschäftigten ist, sondern die seit 2005 neueingestellten Mitarbeiter betrifft, die durch den damals abgeschlossenen Tarifvertrag benachteiligt sind. Die alten Mitarbeiter bekommen einen Sicherungszuschlag, der damals einer Lohnerhöhung gleichkam. Die neuen bekommen den nicht. Nun sollen auch diese Mitarbeiter wieder gleichgestellt werden. Stellt sich die Frage, warum kein einheitlicher Vertrag für alle abgeschlossen wird. Der Fahrgastverband moniert demgegenüber die äußerst kurze Ankündigungszeit sowie die noch kurzfristigere Vorverlegung des Streikbeginns. Da kann sich ja keiner drauf vorbereiten. Mark Seibert bemerkt hierzu sehr treffend: "Aber Streiks müssen weh tun, sie müssen nerven, sie müssen Schaden anrichten, weil sie sonst nichts bewirken."

Das sind Gründe für meine Streiksympathie. Aber meine kindliche Freude steigt an die Oberfläche, weil jeder Einzelne von uns durch einen solchen Streik aus seinem Alltag gerissen wird. Das Selbstverständliche ist auf einmal nicht mehr da. Für einen kurzen Moment müssen wir vom Gewohnten abweichen und nach Alternativen suchen. Wir können uns bewusst machen, auf welchen Pfeilern unser Leben funktioniert - welche Technik und welche Dienstleistungen nutzen wir, sind wir uns dessen bewusst und bekommt dies die gebührende Wertschätzung. In einer solchen Situation kann mensch dann rummosern und meckern wie ein Rohrspatz und mit geschlossenen Augen abwarten, bis alles wieder so ist wie vorher. Aber das erhöht nur das Herzinfarktrisiko. Viel schöner finde ich es da, mit offenen Augen dem Positiven entgegen zu sehen. Die kleinen Dinge wahrnehmen, die sich einem dann auftun. Zum Beispiel Seminardiskussionen, die auf einmal lebhaft werden. Oder die Stadt zu Fuß ablaufen und dabei erzählt bekommen, wo mensch sonntags den Tatort in entspannter Runde schauen kann. Wären wir gestern mit der U-Bahn gefahren, wäre das Thema nicht aufgekommen. Weil diese entspannte Herangehensweise ans Leben aber immer wieder droht unterzugehen, freue ich mich auf Streikzeiten. Denn dann werden viele Menschen aus der Bahn ihres Alltags geworfen. Und das muss von Zeit zu Zeit einfach mal passieren.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

"… die begührende Wertschätzung."

der könnte von mir sein.

Anonym hat gesagt…

Und genau dieses "Aus dem Alltag gerissen"-Sein hat mir Angst gemacht. Momentan kratze ich mein bißchen Alltag, das noch geblieben ist, zusammen, und sei es eben auch nur die Sicherheit, daß ich dann und dann mit dem Bus fahre. Hätte sich der Karpate nicht bereit erklärt, mich morgens zur Uni zu fahren, hätte ich mich in die bereits in Schöneweide völlig überfüllte S-Bahn quetschen müssen. Unangenehm.

Angenehmer ist es dagegen gewesen zu merken, wie strategisch verkehrsgünstig ich doch wohne, denn hier in der Nähe fahren sowohl S- und U- als auch Straßenbahnen sowie einige Buslinien. Die können ruhig alle abwechselnd mal streiken, ich komme trotzdem gut weg.

Letztlich finde ich es aber auch gut, daß der Streik mal ein richtiger Steik geworden ist, daß sich die Beschäftigten weitestgehend solidarisch gezeigt haben (es sind nur private Busunternehmen gefahren, oder?) und daß viele aufgeschreckt sind aus ihrem Trott.

Anonym hat gesagt…

uups. herrjeh. und besten dank für den hinweis.

Anonym hat gesagt…

Mich an der Streik erschreckend wenig aus meinem Alltag gerissen. Meine freudiger Erwartung eben jenes produktiven Chaos stellte ich schon beim Bahnstreik fest, wie wenig der mich kratzt, da ich eben BVG fahren konnte. Und nun konnte ich recht bequem auf S-Bahn umsteigen, die um 9 Uhr bereits recht leer war.
Vielleicht wohne ich einfach zu günstig?

Anonym hat gesagt…

das stimmt natürlich. wer in der nähe einer s-bahn wohnt, ist im vorteil. busse und straßenbahnen fahren da immer, auf die mensch zur not ausweichen kann. und wenn die nicht fahren, fährt die s-bahn.
hm, an der stelle würde ich gerne nochmal auf den generalstreik zurück kommen... wie war das gleich mit 1905 und russland? ;)

und selbst autofahrer dürften auf ihre kosten gekommen sein. miss julie war sicher nicht die einzige, die in einen fetten stau geraten ist.

und da fällt mir auf, johannes: wenn dir die günstig gelegene wohnung bewusst wird, dann hat das gesamtsituational gesehen ja auch was gebracht :).