2008-03-11

Der Autor - wird noch lange leben.

Zumindest so lange, wie Lehrer ihren Schülern beibringen, bei einer Interpretation auch nach der Intention des Autors zu fragen.

Neulich saß ich mit einer Achtklässlerin zusammen. Als Germanistik-Studentin gab ich ihr ein wenig Nachhilfe. Im Deutschunterricht behandeln sie grade Kurzgeschichten, die sie analysieren und interpretieren. Für die Analyse/Interpretation gibt es die folgenden Gliederungspunkte:

  • Thematik des Textes
  • Strukturanalyse
  • sprachliche Mittel
  • Intention des Verfassers

Beim ersten Überfliegen krampfte sich mein Magen ob des letzten Punktes gehörig zusammen. Dann machte ich mich noch auf die Suche nach so etwas wie den zeitgenössischen Lebensumständen bzw. den Lebensbedingungen und dem Weltgeschehen zum Zeitpunkt der Textentstehung. Ich suchte vergeblich.

Hoffnung keimte in mir auf, als wir beim Punkt "Autorintention" ankamen und besagte Achtklässlerin mich verständnislos anstarrte, tief Luft holte und loslegte: "Den Punkt versteh ich nicht! Woher soll ich das denn wissen? Und was soll das überhaupt sein? Pff, total bescheuert!!!"

Ich schmunzelte, zuckte ein wenig ratlos mit den Schultern, verzichtete auf eine ausgedehnte theoriegeschichtliche Herleitung des Problems, verzichtete in Anbetracht ihres Notenspiegels auch auf rebellische "Schreib dazu einfach nix"-Aussagen und versuchte dann, mich in die Denke der Autorfanatiker hineinzuversetzen. Mehr als ein "Geh von der Thematik des Textes aus. Guck, was für Ereignisse stattfinden und ob die Figuren eine Wandlung durchmachen. Frag dich, ob's sowas wie die Moral von der Geschicht' gibt. Irgendwie so kannste dann was zur vermutlichen Autorintention schreiben." kam dann auch nicht aus mir heraus. Am Liebsten wär ich tags darauf mit in die Klasse gegangen, um der Lehrerin gehörig den Marsch zu blasen.

Natürlich ist es realiter so, dass ein Verfasser sich etwas beim Schreiben des Textes denkt und somit eine bestimmte Intention dahinter steckt. Aber wozu die Frage stellen, wenn ich kaum eine Chance auf die Antwort (die Antwort des Autors nämlich) habe? Die Antwort ist reine Spekulation. Abgesehen davon führt sich die Frage im Verlauf der Beantwortung selbst ad absurdum. Denn ich habe nur den Text zur Verfügung. Also arbeite ich mit dem Text. Dann kann ich auch gleich fragen, was im Text steht. Liebe Deutschlehrer, DAS IST SO SCHWER NICHT ZU VERSTEHEN!

manmanman

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

bei der autorintensität stimm ich zu... das ist quatsch, weil zu subjektiv. doch weshalb haben alle immer solche probleme mit der historischen interpretation?
okay, auch die geschichtsschreibung ist letzten endes konstruiert, doch was nützt mir der versuch, einen text losgelöst von zeit und raum zu entschlüsseln?
das konnte mir noch niemand befriedigend erklären...

Anonym hat gesagt…

Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts bestand historische Interpretation mehr oder weniger ausschließlich darin, aus dem Text auf den Autor zu schließen.

Schleiermacher hat die These aufgestellt, des Schreibers Gedanken und Intentionen könnten - wenn er nur gut genug ist - in den Text einfließen und der Leser - wenn er nur gut genug ist und sich fleißig in das Werk einfühlt - könne das dann aus dem Text wieder herauslesen. Die Positivisten haben dieses Theorem genommen und für ihre literaturgeschichtliche Arbeit angewendet. Völlig außen vor gelassen wurde dabei das "Kunstprodukt Literatur" mit dem Merkmal, immer auch eine Bruchstelle zwischen realem Leben und künstlerischem Produkt zu beinhalten. Besonders schlimm muss es in Frankreich und Russland zugegangen sein.

Aus dieser krass einseitigen Beschäftigung mit Literatur ist die Gegenbewegung Russischer Formalismus -> Strukturalismus -> "Tod des Autors" entstanden. Diese Entwicklung war im Grunde als eine Art Kartharsis notwendig.

Weshalb auch heute noch der Eindruck entsteht, gegen historische Interpretation wird geschimpft? Ich glaube, das liegt an 2 Sachen.
Zum Einen sind die Theorietexte bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vom Kampf gegen den Biographismus gezeichnet. Dieser rebellische Charakter spricht mit Sicherheit viele Studenten an, die dann - ein wenig blind und kritiklos manchmal - die Positionen für sich annehmen und in den Seminaren "im Geiste" der Theoretiker argumentieren.
Zum anderen ist eine historische Interpretation auf diskurs- und kulturtheoretischer Basis sehr aufwendig und umfangreich. Der Schriftsteller ist als Autor nach wie vor das wichtigste Ordnungskriterium für den Diskurs 'Literatur'. Da passiert es schnell, dass mensch sich in der Quellenarbeit hauptsächlich auf Äußerungen des Schriftstellers beschränkt. So geschehen z.B. bei Deleuze/Guattari, die in ihrem Kafka-Text immer wieder die Tagebücher heranziehen. Damit aber beißt sich die Katze in den Schwanz und die Gefahr ist gegeben, dass bei jeder historischen Interpretation die Schriftsteller-Persönlichkeit in den Vordergrund gerät und im Grunde doch wieder nach der Autorintention gefragt wird.

Interessant und erstaunlich finde ich an der ganzen Debatte immer wieder, dass es - aus welchen Gründen auch immer - nicht auszureichen scheint, einen Text für sich und im Gefüge anderer Texte zu betrachten. Der Mensch, das Subjekt, ist für viele nach wie vor so wichtig. Er ist wie eine Art Anker, der als Fundament alles andere rechtfertigt. Für mich spricht daraus auch immer eine gewisse Hilflosigkeit.

Anonym hat gesagt…

Genau mit diesen Intentionen hat es mein Deutschlehrer seinerzeit geschafft, den leise vorhandenen Wunsch nach einem Literaturstudium zu vaporisieren.

Meine genialen Interpretation endeten regelmäßig in strittigen Diskussionen, in denen er - ob der notengebenden Gewalt - Recht behielt.

Und ich Trottel habe mich doch tatsächlich abschrecken lassen ...

Anonym hat gesagt…

habe ich wirklich Intentionen geschrieben? och nö ... Merken: Erst Kaffee, dann kommentieren ...

Anonym hat gesagt…

:) In Anbetracht dessen, das in der Bedeutung von "Intention" irgendwie immer auch ein Grad von bewusstem Wissen über das, was mensch sagen will, steckt, hatte dein Deutschlehrer vermutlich gar keine Intentionen. Ich glaube, die wenigsten Deutschlehrer machen sich wirklich bewusst, was sie da vermitteln. Die folgen einfach den So-kann-eine-Unterrichtseinheit-aussehen-Heften.