Magische Orte I.
Längere und kürzere Sätze zu den Ereignissen der vergangenen Tage: die Fusion des Jahres 2008.
Donnerstag: Treffen am Gesundbrunnen. Schnell noch nen Kasten Alster kaufen. Rauchen auf dem Vorplatz. Eine kleine Tradition. Immer, wenn ich vom Gesundbrunnen aus losfahre, stelle ich mich noch kurz oben hin, genieße die Sonne und den Anblick der Menschen und das bisschen Bahnhofsatmosphäre, das es dort gibt. Fahren und Sitzen quer durch den Waggon verteilt. Den Menschen, die müde und geschafft von der Arbeit einfach nur noch nach Hause wollen, sieht man an, dass sie ein genervt sind von der guten Laune und Entspanntheit, die wir alle versprühen.
Neustrelitz: Bahnhof. Zwei Gleise und ein Bahnhofshäuschen. Alles in fröhlichem Gelb gestrichen. Aber wehe, mensch geht die drei Meter neben das eigentlich Bahnhofsgelände, z.B. zu dem kleinen Toilettenhäuschen. Das Alter der Bahnanlagen springt einem förmlich auf die Schultern. Ein kleiner Backsteinbau, innen nicht verputzt. Die Türen der Kabinen in passendem Ochsenblut lackiert. Ein sanfter Willkommensgruß auf dem Weg aus der Zivilisation heraus. Aber es stinkt nicht und der Boden ist sauber. Irgendwer kümmert sich dennoch um die Räume. Es ist die sympathischere Ecke.
Neustrelitz: Bahnhofsvorplatz. Die Mengen warten auf die Shuttlebusse, die sie zum Festivalgelände bringen werden. Alle versuchen das Fleckchen zu finden, an dem der Bus halten wird, um nur ja mit einem "Erster!" ihren Sitzplatz einnehmen zu können. Ein Kopfschütteln meinerseits. Die Fusion "ein Marktplatz der Utopien und der Träume von einer Welt, die nicht von Rücksichtslosigkeit, Intoleranz, Egoismus und Geldscheffeln bestimmt ist"? Noch merke ich nichts davon. Das soll erst später kommen. Noch sind wir außerhalb des Festivalgeländes. Ein zynisches "Oh, hier draußen passt ihr euch aber perfekt in die Ellbogenmentalität ein!" geht mir durch den Kopf. Diesen Gedanken habe nicht zum ersten Mal - und sicher auch nicht zum letzten Mal -, schließe ihn ein in meine Erkenntnisschatulle und entgegne dem Gejammer und Geschiebe mit innerer Entspanntheit. Und spätestens auf der Fahrt und in dem Moment, in dem wir allesamt gerickroll´d werden, ist die Welt wieder in Ordnung.
Ankommen am Gelände. Mitten im Nirgendwo. Wald und Wiesen ahoi. Ich atme tief ein. Blicke über die Landschaft aus Zeltdächern. Und vergesse mit einem Schlag alles, was in meinem Leben in der Großstadt präsent ist. It´s festivaltime, baby! Dreieinhalb Tage weg von zu Hause. Dreieinhalb Tage einfach nur das tun, wonach mir der Sinn steht.
Ankommen ist einer schönsten Momente bei Festivals. Das eigene Frohlocken ob der kommenden Stunden und Tage prägt die Wahrnehmung. Völkerwanderungen zwischen den Zeltplätzen. Gute Laune allerorten. Es wird aufgebaut, auf den Lageplan geschaut, auf den Rest der Gruppe gewartet oder einfach immer weiter gelaufen. Das Alster fest in der Hand.
Der erste Abend beginnt mit einem musikalischen Opener der deluxe-Variante. Turbostaat rocken die Rote Bühne.
The Notwist: Sie sind gut. Aber die Kälte können sie mit ihrem Sound dann doch nicht aus meinen Knochen vertreiben. Es tut mir nach wie vor in der Seele weh, diesen Moment nicht ausgekostet haben zu können.
Treffen am Zelt. Gemeinsam wieder aufbrechen und einige der magischen Orte entdecken. Das Cabaret at the End of the World ist die leibhaftige Welt, wie sie auch Baz Luhrmann liebt. Ein Ort in Plüsch, Seidenvorhängen und weltentrückter Verspieltheit. Es ist die erste Station, die die Magie der Phantasie leibhaftig werden lässt.
Am Lagerfeuer Wärme und Dubsounds. Feuerkünstler verlieren sich in ihren Bewegungen. Das Auge folgt und der Geist verliert sich mit.
Die Entdeckungsreise geht weiter. Neuland und Second Fusion und all die Kleinigkeiten dazwischen. Das alles bei Nacht. Die Second Fusion ist die wieder analoggewordene digitale Welt. Großer Spaß: Zweite Welt. Auf einem Tisch ist eine Landschaft zusammengebastelt, ähnlich der von Modelleisenbahnen. Für das Spiel gilt es, sich einen Avatar zu basteln, Aufgaben zu lösen, Materialien zu sammeln und das Gesammelte gegen Realien einzutauschen.
Zurück zur Hangar Bühne. Che Sudaka locken mit großartigem Ska.
Die letzten Tage und kurzen Nächte in der Heimat zerren an mir. Mein Körper will Schlaf.